Lowell

Während Massachusetts bekannt für seine herausragende Bedeutung im Zusammenhang mit der Kolonialzeit ist, findet sich in Lowell ein weiterer historischer Meilenstein, der Amerika nachhaltig prägte. Die Stadt im Norden des Bundesstaates ist berühmt als erste großflächig angelegte Industriestadt der USA, die nichts weniger als die industrielle Revolution einläutete. Diese Rolle, die anhand im Original erhaltener Schauplätze erlebbar ist, beschert der fünftgrößten Stadt in Massachusetts ein beachtliches touristisches Interesse. Wessen Herz also für Industriegeschichte schlägt, sollte sich den Ort, der nur 40 Kilometer von Boston entfernt ist, nicht entgehen lassen.

Das Hauptaugenmerk der meisten Besucher liegt auf dem Lowell National Historical Park, der Schauplätze wie Textilfabriken und Arbeiterwohnungen wie in einer Zeitkapsel bewahrt und einen authentischen Einblick in die Errichtung Lowells als erste planmäßige Industriestadt Mitte der 1820-er Jahre und ihre Entwicklung gewährt. Die Lage am Merrimack River mit seinem starken Gefälle erwies sich als ideal, um die Kraft des Wassers zum Betrieb von Maschinen wie Webstühlen zu nutzen.

Am besten erlebt man dies im Boott Cotton Mills Museum mit seinen noch heute voll funktionsfähigen Webstühlen. Es ist im repräsentativen Fabrikgebäude der Boott Mills untergebracht, dem besterhaltenen Zeugnis der einst Dutzenden Textilfabriken und einem der Schmuckstücke des Nationalparks. Allein dieses imposante Bauwerk lässt auf die enorme Bedeutung der Stadt schließen.

Bereits 1850 war Lowell der wichtigste Industriekomplex der USA, der anderen Städten wie dem nahegelegenen Manchester als Vorbild diente, aber zunehmend auch Einwanderern aus Irland, Deutschland und anderen Nationen eine neue Heimat bot. 1900 war jeder zweite Einwohner im Ausland geboren. Die Immigranten waren gern gesehene, billige Arbeitskräfte, die die mittlerweile emanzipierten einheimischen Textilarbeiter nach und nach ersetzten. Gleichzeitig bescherten sie der Stadt eine kulturelle Vielfalt, die sie bis heute ebenso prägt wie die markanten mehrstöckigen Industriebauten aus rotem Backstein. Eine lehrreiche und kurzweilige Erfahrung versprechen Bootstouren auf dem Merrimack River und den Kanälen der Stadt, die sich mit einem gemieteten Kajak auch trefflich auf eigene Faust erkunden lassen.

Auch wenn die Industriegeschichte mit ihrem ganz eigenen Charme als Markenkern von Lowell omnipräsent ist, bietet die Stadt mit ihren 115.000 Einwohnern noch einige andere Argumente für einen Besuch. So ist Lowell bekannt für seine enorme Kunst- und Kulturszene. Der Canalway Cultural District, der sich über die gesamte Innenstadt mit kopfsteingepflasterten Straßen und Backsteinhäusern erstreckt, ist förmlich übersät mit Galerien und Kunsthäusern. Ein einzigartiges Beispiel für die gelungene Nachnutzung einstiger Fabrikgebäude sind die Western Avenue Studios, die die größte Künstlergemeinschaft an der Ostküste der USA beherbergen. Hier leben und arbeiten 300 Künstler, die die kulturelle Landschaft der Stadt maßgeblich beeinflussen.

Kunstliebhaber sollten sich das Whistler House Museum of Art nicht entgehen lassen. Untergebracht ist es in einem hübschen Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem der amerikanische Maler James McNeill Whistler geboren wurde. Natürlich stammt ein guter Teil der ausgestellten Werke von Whistler selbst.

Interessant sind nicht zuletzt das New England Quilt Museum und das National Streetcar Museum. Letzteres ist eine Außenstelle des in Kennebunkport in Maine ansässigen Straßenbahnmuseums und zeigt einige historische Trolleys. Es erinnert an die reiche Tradition von Lowell als Straßenbahnstadt. Auch wenn die meisten Strecken inzwischen verschwunden sind, können Besucher des Lowell National Historical Parks auf einer revitalisierten Strecke heute wieder zu kostenlosen Fahrten einsteigen, allerdings nur im Sommerhalbjahr.

Das Lowell Auditorium ist mit seinen 2.800 Plätzen nicht nur quantitativ von stattlicher Größe, sondern bietet auch ein anspruchsvolles Programm. Immer wieder treten namhafte Künstler auf, während sich direkt nebenan in der historischen Liberty Hall das Merrimack Repertory Theatre mit bemerkenswerten Produktionen in Szene setzt. Noch mehr Abwechslung gefällig? Das Tsongas Center der Universität von Massachusetts, Lowell ist Schauplatz vieler beeindruckender Shows und Veranstaltungen.

Auch sonst gibt es eine Menge zu erleben. Das Lowell Folk Festival ist der Höhepunkt im Veranstaltungskalender der Stadt. Das älteste und zweitgrößte Folk-Festival der USA steigt alljährlich am letzten vollen Juli-Wochenende und bringt förmlich die ganze Stadt zum Beben. Den ganzen Sommer über ist der Boarding House Park im Herzen der Stadt im Rahmen der traditionellen Lowell Summer Music Series Schauplatz abendlicher Konzerte.

Wenn es noch etwas Außergewöhnliches sein soll, empfiehlt sich ein Bummel durch das Viertel südwestlich der Innenstadt, das als Cambodia Town bekannt ist. Hier leben viele der 20.000 aus Kambodscha stammenden Bewohner der Stadt, die Lowell zur größten kambodschanischen Community der USA machen. Viele flohen in den 1970-er Jahren vor der Gewaltherrschaft der Roten Khmer in ihrer Heimat und bereichern die Stadt seither mit ihrer Kultur und schmackhafter Gastronomie.

Wer sich ganz besonders für die industriellen Anfänge der USA begeistert, sollte sich vielleicht auch der in New Jersey befindlichen Stadt Paterson zuwenden. Zwar nimmt Lowell aufgrund seiner gezielten Errichtung als Industriestadt zu recht für sich in Anspruch, die industrielle Revolution entfacht zu haben. Der Grundstein für diese Entwicklung wurde aber schon einige Jahre zuvor in eben jenem Paterson gelegt, wo man sich ebenfalls die Kraft des Wassers zunutze machte. An die Anfänge erinnert heute der Paterson Great Falls National Historical Park.

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