Eine interessante Reise in die Industriegeschichte der USA und von Massachusetts verspricht der Lowell National Historical Park. Der historische Nationalpark umfasst den Kern der ersten planmäßig errichteten Industriestadt des Landes Lowell. Eine gute halbe Autostunde von Boston gelegen, verbindet der Park verschiedene Orte, an denen die industrielle Revolution, die den wirtschaftlichen Erfolg der Nation maßgeblich entfachte, auf authentische Weise zu erleben ist.
Der Park erzählt an Originalschauplätzen wie Textilfabriken, Geschäftsgebäuden, Arbeiterwohnheimen und Kanälen die Geschichte der Industrialisierung und den wirtschaftlichen Fortschritt selbst, die damit verbundene Arbeiterbewegung und spätere Immigration und zeigt exemplarisch auf, wie verschiedene Facetten der historischen Entwicklung des Landes miteinander verwoben sind. Zu den bedeutendsten Orten gehören das Boott Cotton Mills Museum, das Mogan Cultural Center und der Northern Canal Walkway.
Das Boott Cotton Mills Museum ist der wohl beste Ort, um die beeindruckende industrielle Vergangenheit Lowells hautnah zu erleben. Untergebracht in einer früheren Textilfabrik, zeigt es unter anderem eine große Halle voller Webstühle aus den 1920-er Jahren, die noch voll funktionstüchtig sind. Bei Vorführungen erlebt man die Funktionsweise und erhält eine Vorstellung vom Arbeitsalltag der Weber, die zumeist Landfrauen und später Einwanderer waren. Eine zentrale Ausstellung beleuchtet die Rolle der Stadt als Mittelpunkt der industriellen Revolution, während eine Sammlung historischer Fotos sich der Dokumentation von Kinderarbeit annimmt.
Das Mogan Cultural Center ist in einem Arbeiterwohnheim aus dem Jahr 1840 eingerichtet. Besucher erleben anschaulich die Lebensbedingungen der Textilarbeiter im 19. Jahrhundert. Im Erdgeschoss befindet sich ein typischer Speiseraum mit Küche, während im Obergeschoss Schlafräume eingerichtet sind. Die Ausstellung One City, Many Cultures beleuchtet die ethnische und kulturelle Vielfalt Lowells, die die Einwanderer aus aller Welt der Stadt bescherten. Dazu passt dann auch, dass mit der Angkor Dance Troupe eine kambodschanische Tanzgruppe im Mogan Cultural Center heimisch ist.
Der Northern Canal gilt als eines der Wunder der Ingenierurskunst des 19. Jahrhunderts. Der 1847 fertiggestellte Kanal verläuft parallel zum Merrimack River. Der Walkway verläuft über eine mehr als zehn Meter hohe Mauer, die den Fluss vom Kanal trennt. Bootstouren im historischen Kontext des Kanals und des Flusses sind ebenso populäre Aktivitäten wie Führungen zu verschiedenen Themen, die natürlich ebenfalls in Zusammenhang mit Lowells enormer Bedeutung für die industrielle Revolution stehen. Ein besonderes Erlebnis ist die Mill and Trolley Tour, die eine kurze Fahrt in einem historischen Straßenbahnwagen mit einer Exkursion durch die Suffolk Mill verbindet. Die Straßenbahnlinie des Lowell National Historical Parks ist eine Reminiszenz an das einstmals dichte Netz von Straßenbahnen in der Stadt.
Zum historischen Hintergrund: Lowell ist eine der bedeutendsten Städte in der amerikanischen industriellen Revolution. Die Stadt wurde erstmals und ausschließlich zu dem Zweck errichtet, um in großem Stil Kleidung herzustellen. Die Stadt diente vielen anderen Orten als Blaupause, die nach dem Vorbild Lowells nach und nach im gesamten Nordosten der USA entstanden, darunter etwa das bekannte Manchester einige Meilen den Merrimack River aufwärts. Damit gilt Lowell als der Ort, an dem das industrielle Zeitalter der USA seinen Ursprung hat.
Dass diese Geschichte ausgerechnet in Lowell beginnt, hängt mit der Lage der Stadt am Merrimack River zusammen. Dessen Gefälle und die damit verbundene Wasserkraft war ideal, um Maschinen anzutreiben. Und so entstanden inmitten dünn besiedelten Farmlandes an dem Fluss aus dem Nichts Fabriken und mehrgeschossige Wohnheime für die eigens rekrutierten Landarbeiter, zumeist Frauen, die man hier ansiedelte.
Empfanden diese anfangs noch Freude an der neuen Tätigkeit, begannen sie bald damit, schlechte Arbeitsbedingungen zu hinterfragen und sich hiergegen aufzulehnen. Dies führte dazu, dass in Lowell in den 1830-er Jahren eine der ersten Gewerkschaften der USA entstand. Während sich in der Folge die einheimischen Arbeiter abwandten, füllten die Fabrikanten die Lücken mit Arbeitskräften aus Irland und anderen europäischen Ländern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu regelrechten Einwanderungswellen aus aller Welt, die als billige Arbeitskräfte in den Textilfabriken landeten.
Mit der Durchsetzung von Dampfmaschinen, die überall eingesetzt werden konnten und billige Energie lieferten, war der strategische Vorteil von Lowell und seiner Wasserkraft passé. Andere günstiger gelegene Standorte liefen der ersten Industriestadt der USA den Rang ab. Was jedoch blieb, sind die revolutionären backsteinernen Industriekomplexe und Bauwerke und die vielen Geschichten von technischen Leistungen und menschlichen Schicksalen, die die Gebäude erzählen können.